Memorials / Reden

Wolf Lepenies

Wissenschaftskolleg Berlin


Margret wird uns fehlen. Sie wird vielen in Erinnerung bleiben -- und jeder ihrer Freunde, jeder von uns wird sie auf eine ganz besondere, persönliche Weise im Gedächtnis behalten. Es gab Freunde, die waren Nachbarn und wohnten in der Nähe -- und wenn sie am Sonntagmorgen, sich schläfrig die Augen reibend, in ihrer Veranda an den Frühstückstisch setzten, sahen sie Margret, die gerade vom Joggen nach Hause zurückkehrte. Es gab Freunde, die waren Kollegen und hatten eine Idee -- und wenn sie Margret davon erzählten, schenkte sie ihnen den eigenen, dazu passenden Sonderdruck. Es gab Freunde, die wollten etwas von Paul -- und wenn sie es schnell wollten, sprachen sie gleich mit ihr. Es gab Freunde, die glaubten, sie könnten Skifahren, und nachdem sie die ersten Winterferien mit Paul und Margret verbracht hatten, glaubten sie es nicht mehr.

Was Margret tat, tat sie ganz; sie war energisch, jederzeit diszipliniert, und sie erstrebte viel, aber ihr Ehrgeiz war voller Charme, und, vor allem: Sie wußte, wo der Ehrgeiz nichts zu suchen hat: in der Freundschaft. Sie, die auf Systematik in der Arbeit und in der Lebensplanung so großen Wert legte, war zugleich voller Spontaneität -- uns allen klingt ihr Lachen im Ohr -- und niemand konnte so aufmerksam, so einfühlend zuhören wie sie.

Zu ihren Freunden war sie voller Vertrauen. Dabei wartete sie nicht ab, bis man ihr Vertrauen schenkte, sie schenkte es zuerst. Sie zögerte nicht, -- genauso wenig wie Paul -- in ganz schwierigen, in lebenskritischen Situationen ihre Freunde um Rat zu fragen und bei ihnen Hilfe zu suchen, und sie half damit uns, denn wir wußten, und wir haben es erfahren: Wir konnten uns stets an sie -- und an Paul -- wenden. Wenn wir mit Paul und Margret sprachen, sprachen oft Eltern zu Eltern, und ­ Anushka und Boris wird dies am wenigsten überraschen -- immer wieder waren wir davon beeindruckt und bewegt, wie sehr sie an ihren Kindern hing, sich um sie sorgte, ihnen vertraute auf dem eigenen Lebensweg, den sie einschlugen, und wie stolz sie auf Anushka und Boris war.

Die Erinnerung an Margret teilen Annette und ich mit vielen Freunden und Kollegen. Aber auch wir erinnern uns an sie auf eine ganz besondere und persönliche Weise.

Denn oft sind wir zu viert zusammen ins Kino gegangen. Im Laufe der Zeit war daraus ein wöchentliches Ritual geworden. Stets hatte Margret Lust, einen Film zu sehen -- "Das ist eine gute Idee", höre ich sie immer noch sagen -- manchmal ging es dann doch nicht, schließlich wollte auch Paul noch gefragt sein, aber nicht ein einziges Mal mußte eine ihrer vielen wissenschaftlichen Verpflichtungen als Vorwand herhalten, um uns um das Vergnügen des gemeinsamen Kinobesuchs zu bringen, das sich fortsetzte mit dem anschließenden Essen in der billigsten und besten Pizzeria von Berlin. Man spürte, wie vorbehaltlos Margret, diese Realistin, in die Filmwelt eintauchte und dort mitlebte und mitlitt, und auch im Kino konnte niemand so entschieden, so von Herzen lachen wie sie. Nach dem Film kamen die Diskussionen und unweigerlich entstand manch freundschaftlicher Streit -- auch, und nicht zuletzt, unter den Ehepartnern -- und wenn ich rückblickend eine Bilanz ziehen sollte, so würde sie lauten: Paul war oft der bessere Psychologieprofessor, die bessere Psychologin aber war meist sie.

Margret haben wir zuletzt vor drei Wochen gesehen -- im Freundeskreis und bei einem Essen in ihrem Haus, bei dem Paul und sie wie stets die liebenswürdigsten und großzügigsten Gastgeber waren. Wir sprachen lange darüber, wie man am besten die Jahrhundertwende feiern sollte, und Margret war entschieden dafür, diesen Tag nicht in großer Gesellschaft, sondern alleine mit Paul und mit den Kindern zu verbringen. Wir werden die Jahreswende ohne sie erleben. Aber wir werden nicht nur an diesem Tag an Margret denken, sondern lange darüber hinaus. Sie wird uns fehlen. 


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