NEWSLETTER ENTWICKLUNGSPSYCHOLOGIE 1/99


Nachruf Margret M. Baltes

Am 28. Januar 1999 verstarb Frau Prof. Dr. Margret M. Baltes plötzlich und unerwartet kurz vor ihrem 60. Geburtstag. Die deutschsprachige Gerontologie hat damit eine ihrer bedeutsamsten, bekanntesten und anerkanntesten Vertreterinnen verloren. Seit ihrer Berufung als Professorin für Psychologische Gerontologie an der Freien Universität Berlin und zur Leiterin der Forschungsgruppe Psychologischen Klinik und Poliklinik im Jahre 1984 hat Frau Baltes der nationalen und internationalen gerontologischen Forschung immer wieder wichtige Impulse gegeben. Ihre wissenschaftlichen Leistungen werden weit über ihren Tod hinaus im internationalen Raum rezipiert und fortgesetzt werden.

Im Zentrum der Forschungsarbeiten von Frau Baltes standen vor allem Fragen erfolgreichen Alterns. Gemeinsam mit ihrem Mann, Prof. Dr. Paul B. Baltes, stand sie für eine theoretische Perspektive, die die menschliche Entwicklung als einen lebenslangen, multidimensionalen und multidirektionalen Prozess betrachtet, der zu allen Zeitabschnitten mit spezifischen Gewinnen und Verlusten verbunden ist. Die gemeinsam mit ihrem Mann entwickelte und durch zahlreiche empirische Arbeiten konkretisierte und in ihrem Erklärungsanspruch untermauerte Theorie der selektiven Optimierung mit Kompensation hat weit über die Grenzen Deutschlands hinaus Interesse und Anhänger gefunden. Auch wenn das Alter quasi unausweichlich mit Verlusten konfrontiert, so ist es Menschen dennoch möglich, durch die Nutzung und Erweiterung verbliebener Kompetenzen deren negative Auswirkungen zu begrenzen und zu kompensieren. Frau Baltes stand für eine optimistische Perspektive auf den Alternsprozess, die sich nicht mit dem Nachweis möglicher Entwicklungsgewinne begnügt, sondern sich auch um konkrete Hilfen für die Gestaltung von Alternsprozessen bemüht. Gerade in ihren Arbeiten zur Selbständigkeit versus Abhängigkeit im Alter ist es Frau Baltes gelungen, grundlagenorientierte und anwendungsorientierte Forschung miteinander zu verbinden, die Wirkungsweise von personen- und umweltbezogenen Einflussfaktoren der Lebenssituation im Alter und mögliche Interventionsstrategien aufzuzeigen. Auch deshalb beinhaltet ihr viel zu früher Tod aus meiner Sicht eine besondere Tragik: Frau Baltes hat sich in ihren Arbeiten um die Förderung von Entwicklungsprozessen im Alter verdient gemacht, diesen Lebensabschnitt zu erleben, auch selbst erfolgreich zu altern, war ihr aber nicht vergönnt.

Die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Verdienste von Frau Baltes angemessen zu würdigen, ist in einem Nachruf nicht möglich. Sie hat für ihre wissenschaftliche Arbeit zahlreiche Ehrungen und Preise erhalten, von der deutschen Forschungsgemeinschaft und anderen deutschen Stiftungen ebenso wie von Universitäten und Forschungsgesellschaften in den Vereinigten Staaten. Ihre Arbeiten sind in den besten Publikationsorganen erschienen, sie hat für Vertreter ihres Faches außerordentlich hohe Forschungsmittel erhalten und war als Gutachterin für viele Fachzeitschriften tätig. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses war ihr immer ein besonderes Anliegen. Das gerade begonnene Graduiertenkolleg "Psychische Potentiale und ihre Grenzen im Alter" geht wesentlich auf die Initiative von Frau Baltes zurück.

Ich habe Frau Baltes als Mentorin und Kollegin immer geschätzt und bin für die vielen Jahre produktiver Zusammenarbeit sehr dankbar. Nach dem Abschluß meiner Habilitation hatte ich die Ehre, die Professur von Frau Baltes in Berlin zu vertreten. Dabei konnte ich erkennen, wie sehr sie die Mitglieder der nachwachsenden Wissenschaftsgeneration zu inspirieren vermochte. Gleichzeitig wurde mir deutlich, wie groß das Interesse war, das sie bei Studentinnen und Studenten des Diplomstudienganges Psychologie an Fragen der Gerontologie geweckt hat. Bis zuletzt habe ich mit ihr in der Kommission "Dritter Altenbericht der Bundesregierung" zusammengearbeitet, wo sie als Expertin für die Themen hohes Alter sowie Alter und Kultur verantwortlich war. Als Vorsitzender dieser Kommission ist es mir besonders deutlich geworden, welch gravierenden Verlust der plötzliche Tod von Frau Baltes nicht nur für die internationale Altenforschung, sondern auch für die Politikberatung bedeutet. Noch schwerer wiegt aber der persönliche Verlust einer hochgeschätzten Kollegin. Mit der Familie von Frau Baltes verbindet mich eine tiefe und aufrichtige Trauer.

Heidelberg, im März 1999

Prof. Dr. Andreas Kruse
Direktor des Instituts für Gerontologie
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
 

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