Hanfried Helmchen
Psychiatrische Klinik
Freie Universität Berlin
Zu dieser Tageszeit, gestern vor einer Woche, sprach ich mit Frau Baltes über unsere Absicht, ihren bevorstehenden 60. Geburtstag als Gelegenheit zu verstehen, ihr auch einmal im akademischen Rahmen öffentlich zu danken. Zu danken für ihren unermüdlichen Einsatz für die Entwicklung der Wissenschaft vom Altern, der Gerontologie, -- und dies für sie als Psychologin in einem medizinischen Umfeld. Seit 1984 hatte Frau Professor Baltes die Forschungsgruppe Psychologische Gerontologie an der Abteilung für Gerontopsychiatrie der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität konsequent und außerordentlich erfolgreich aufgebaut und sie zu einem tragenden Pfeiler des Forschungsschwerpunktes Alterspsychiatrie unserer Klinik entwickelt.
Die internationale Resonanz ihrer wissenschaftlichen Arbeiten, unter anderem jährlich auf der Jahrestagung der Gerontological Society of America (GSA) vorgetragen und in vielfältigen Originalarbeiten sowie in mehreren Büchern publiziert, hat ebenso wie ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, zu ihrer ehrenvollen Berufung in viele Beratungsgremien geführt. Charakteristisch für sie war, daß sie davon keinerlei Aufhebens machte; die Fülle ihrer Aktivitäten wurde uns aber schlagartig bewußt, als wir jetzt ihre unmittelbar nächsten Termine bei Beratungsgremien der Bundesregierung und der Europäischen Kommission absagen mußten. Sie war gerade mit einem Vortrag über "Die neue Rolle des aktiven Alters" beschäftigt, den sie gestern in einer hochrangigen Veranstaltung im Rahmen des Internationalen Jahres der Senioren hätte halten sollen.
In der Klinik war sie als Mitglied des Institutsrates immer auf Lösungen bedacht, und in gleicher Weise brachte sie sich selbst und ihre Mitarbeiter auch in die Psychiatrische Forschungseinheit der als Projekt der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften seit 1989 durchgeführten Berliner Altersstudie ein, indem sie eigene Ideen und damit eine psychologische Perspektive wirksam machte, immer aufmerksam und konzentriert zuhörte, und mit einem unabhängigen, konstruktiv-kritischen Urteil die wissenschaftliche Arbeit beförderte.
Als letztes großes Projekt hat sie das Graduiertenkolleg "Psychische Potentiale und ihre Grenzen im Alter" initiiert, den Lehrkörper zusammengebracht, den umfangreichen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Erfolg geführt und das bewilligte Kolleg mit Beginn des laufenden Semesters tatkräftig auf den Weg gebracht. Die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses für die Alternsforschung war ihr besonderes Anliegen, und ich bin davon überzeugt, daß die Kollegiaten dieses Engagement auch gespürt haben und die Erinnerung an Frau Professor Baltes ebenso dankbar bewahren werden wie wir Kollegen, die wir von ihr in diese interdisziplinäre Unternehmung aus Medizin und Psychologie sicher hineingeleitet wurden.
Das Konzept einer positiven Bewältigung des Alterns durch Kompensation von nicht ausbleibenden Einschränkungen und Verlusten durch selektive Optimierung der verbleibenden Ressourcen hat Margret Baltes zusammen mit ihrem Mann, Paul Baltes, entwickelt und durch empirische Studien zu verifizieren gesucht. Gelegentlich konnten wir als in ihrem beruflichen Umfeld Tätige eine Ahnung davon spüren, wie diese gemeinsame wissenschaftliche Produktivität des Forscherpaares Baltes ihre Wurzel auch in einem offenbar einander sehr zugeneigtem tiefen wechselseitigen Verständnis zweier unabhängiger Persönlichkeiten hatte. Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Baltes, daß die Erinnerung an diese glückliche Zeit der Gemeinsamkeit -- und als Alternsforscher wissen Sie um die wachsende Bedeutung guter Erinnerungen -- sowie die Gewißheit, daß der offenbar augenblickliche Tod ihrer Frau jedes Leiden erspart hat, zu Ihren verbleibenden Ressourcen zählt; vor allem aber gehören zu dem, was Ihnen bleibt, als Aufgabe und Vermächtnis Ihre Kinder, mit denen Sie diesen tief wirkenden Verlust der Anteil nehmenden Mutter und Frau teilen, weiterhin jene vielen Menschen, die Ihnen familiär, freundschaftlich oder kollegial verbunden sind und nicht zuletzt Ihre Zielsetzungen und Verpflichtungen in der Welt der Wissenschaft.
Zurück bleibt die Erinnerung an einen Menschen, der herzlich lachen konnte und sich mit Wärme anderen Menschen zuwandte. Unvergessen sind die fröhlichen Abende in ihrem Hause, wo sie als zurückhaltende, aber sehr präsente Gastgeberin wirkte. Wir, die wir mit Margret Baltes zusammengearbeitet haben, erlebten sie aber auch als eine nachdenklich, gelegentlich vielleicht sogar etwas streng wirkende Persönlichkeit, die sich selbst ganz hinter die Sache zurücknahm, um die es ging.
So war es auch an jenem Donnerstag vor einer Woche, als ich mit ihr über eine unseren Dank zum Ausdruck bringende Ehrung zu ihrem Geburtstag sprach. Sie lehnte dies eindeutig, das heißt in ihren eigenen Worten "hart" und "ohne wenn und aber" ab. Erst als ich zu bedenken gab, daß private Ereignisse einer auch öffentlich wirksamen Persönlichkeit Anlaß sein könnten, die von ihr vertretene Sache einmal mehr auch öffentlich zu machen, bat sie um Bedenkzeit von einem Tag. Es war offensichtlich, daß nur ihr Pflichtgefühl und ihr Engagement für die Sache der Alternsforschung in Berlin sie dazu veranlaßte, die eindeutige Ablehnung jeglicher Hervorhebung ihrer Person zu überdenken.
Der Tod hat ihr die Möglichkeit zur Antwort genommen. Sicher ist
es aber in ihrem Sinne, wenn ich hier meine wenigen Worte beende. Ich kann
dies allerdings nur, indem ich im Namen der Mitarbeiter der Psychiatrischen
Klinik der Freien Universität Dank sage, Dank sage für die 15
Jahre, in denen Frau Professor Baltes mit uns und für uns so gearbeitet
hat, daß wir sie nicht vergessen können.