Memorials / Reden

Clemens Tesch-Römer

Deutsches Zentrum für Altersfragen, Berlin



Lieber Herr Baltes, liebe Anushka Baltes und lieber Boris Baltes,

Sie trauern um die Seele Ihrer Familie -- um Ihre Frau und um Ihre Mutter. Sie trauern um Margret Baltes. Ich möchte Ihnen mein tief empfundenes Beileid aussprechen.

Im Namen der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie -- auch auf Bitte ihres Präsidenten Wolf-Dieter Oswald -- möchte ich Worte des Gedenkens und der Erinnerung für Margret Baltes sprechen. Lassen Sie mich dabei eine Facette des Bildes zeichnen, das wir von der Verstorbenen mit uns tragen werden: Margret Baltes war eine bedeutende Repräsentantin der deutschen Gerontologie, und sie war es, weil sie sich in ihrer Arbeit und ihren Kontakten nicht auf den Kreis der nationalen Gesellschaft begrenzte. Margret Baltes war eine europäische, eine internationale Wissenschaftlerin.

Dies läßt sich schon an der beeindruckenden Liste von Publikationen ablesen, die sie in internationalen "peer-review journals" veröffentlichen konnte. Die Themen sind Ihnen allen bekannt, ich nenne nur wenige: Das Wechselspiel von Abhängigkeit und Autonomie im Alter, Bedingungen des erfolgreichen Alterns, wichtige Beiträge zur psychologischen Demenzforschung. Ihre Kooperationspartner fanden sich in verschiedenen Ländern Europas, diesseits und jenseits des Atlantiks. Margret Baltes wird uns als eine ungewöhnlich aktive und engagierte Wissenschaftlerin sehr fehlen.

Doch ihr Schaffen umfaßte ja nicht nur Forschung. Sie war auch eine vorzügliche akademische Lehrerin, und darüber hinaus hatte sie in vielen nationalen und internationalen Kommissionen und Gremien Verantwortung übernommen. Ich erinnere an ihren Vorsitz der Gesellschaft für sozial- und verhaltenswissenschaftlichen Gerontologie, aber auch an ihren Beitrag als Mitglied der Altenberichtskommission der Bundesregierung und der europäischen Kommission "The Ageing Population".

Das alles waren Hinweise darauf, daß sie den Höhepunkt ihres Schaffens noch keineswegs erreicht hatte, als sie sterben mußte. Sie, die sich selbst als "spät Beginnende" beschrieben hat, schien in den letzten Jahren an Kraft und Produktivität noch zu wachsen.

Margret Baltes bleibt uns als Vorbild -- ein Vorbild gerade auch für eine nationale Gerontologie, die sich häufig mit dem engen Horizont des Heimatlandes begnügt.

Doch gestatten Sie mir noch einige persönliche Bemerkungen. Ich darf mich -- wie auch Hans-Werner Wahl und viele andere -- als Schüler von Margret Baltes bezeichnen. Mir ist bewußt, wie viel ich ihr auch persönlich verdanke. Es war Margret Baltes, die mir die Gelegenheit, den Freiraum und die Unterstützung gab, meine Habilitation beginnen zu können.

Margret Baltes war und ist auch ihren Schülern ein Vorbild. Drei Begriffe mögen stellvertretend genannt sein: gedankliche Klarheit, Offenheit für neue Ideen und persönliche Disziplin. Margret Baltes hat in ihren eigenen Arbeiten und den Arbeiten ihrer Kolleginnen und Kollegen immer darauf geachtet, daß sich die Kette der Argumentation klar und stimmig entwickelt und daß theoretische Behauptungen empirisch gestützt wurden. Der Forderung nach gedanklicher Stringenz entsprach ihr Streben nach sprachlicher Klarheit. Ein Zweites: Margret Baltes war neugierig und offen für Ideen, die ihre Mitarbeiter äußerten und verfolgten. Ein Letztes: Bewundert habe ich ihre persönliche Disziplin. Sie war ein Mensch, der Zusagen einhielt und keine Mühe scheute, anderen mit ihrem Rat zur Seite zu stehen. Diszipliniert verhielt sie sich auch in Konflikten -- und diese gab es (es gibt sie immer) --, die sie fair austrug und die sie nie hinderten, konstruktiv an den gemeinsamen Aufgaben weiterzuarbeiten.

Vor wenigen Monaten bin ich nach Berlin zurückgekehrt, diesmal an das Deutsche Zentrum für Altersfragen. Im Rückblick erstaunt es mich, wie viele Anknüpfungspunkte wir in dieser so kurzen Zeit gefunden hatten: Margret Baltes erklärte sich schnell bereit, im Beirat unseres Instituts mitzuarbeiten, sie unterstützte mich darin, akademische Kontakte zur Freien Universität zu knüpfen, und schließlich gab es sogar erste Pläne zu einem gemeinsamen Projekt. Wenn eine Beziehung in eine neue Phase tritt, sie sich weiterentwickelt und Zukunft verspricht -- wie schmerzlich ist es, unwiderruflich zu erfahren: Ein Mensch ist gestorben, es gibt diese gemeinsame Zukunft nicht mehr.

Wie alle, die von ihrem Tod erführen, konnte ich zunächst nicht glauben, was mir erzählt wurde. Und je länger ihr Todestag verstrichen ist, desto klarer wird mir, wie sehr ich Margret Baltes vermisse, wie sehr sie mir persönlich fehlt als kluge, kritische und konstruktive Gesprächspartnerin, und mir wird immer deutlicher, wie groß die Lücke ist, die durch ihren Tod in der deutschen Gerontologie entstanden ist.

Lieber Herr Baltes, liebe Anushka und Boris Baltes, wir können den Schmerz nur erahnen, den Sie fühlen. Seien Sie gewiß: Margret Baltes wird in ihrem Werk weiterleben -- und wir alle werden die Erinnerung an sie in unseren Herzen tragen. 


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